Bürokratie-Abbau in Deutschland und der EU – Lösungen vom Nationalen Normenkontrollrat
1. Warum Bürokratieabbau jetzt wichtiger denn je ist
Deutschland steckt tief in bürokratischen Nebeln: Ob bei Bauvorhaben, Steuervorgaben oder Sozialleistungen – die Regeln überlagern sich, verzweigen sich und bremsen Wirtschaft sowie Bürger aus. Die Kosten sind dabei immens: Allein für Unternehmen entstehen jährlich Bürokratiekosten in Milliardenhöhe.
Auch in der öffentlichen Debatte wächst der Druck: t‑online titelt zu Recht, ein „radikales Umdenken“ sei erforderlich, denn die Bürokratie sei „ein kostenloses Konjunkturprogramm“ – sie bremse Wachstum und Innovation. In diesem Kontext tritt der Nationale Normenkontrollrat (NKR) als zentrales Analyse- und Steuerungsgremium in den Vordergrund – als Hoffnungsträger für Entbürokratisierung auf nationaler Ebene und Impulsgeber für Reformen in der EU.
2. Wer ist der Nationale Normenkontrollrat (NKR)?
Der NKR wurde 2006 mit dem Ziel etabliert, die „Herrschaft der Verwaltung“ durch unabhängige Kontrolle der Gesetzgebung einzudämmen. Er wirkt direkt auf Bundesebene – eingebettet durch eine gesetzliche Verankerung – und dient als methodischer Hüter bei der Einführung neuer Regulierungen.
Das zehnköpfige Gremium prüft alle Bundesgesetze sowie EU-Umsetzungstexte. Besonders relevant sind seine Digitalchecks, die seit 2023 gesetzlich vorgeschrieben sind: Jedes Bundesressort muss hohe Maßstäbe ansetzen, ob ein Gesetz auch digital umgesetzt werden kann.
Der NKR operiert unabhängig, kann eigene Gutachten vorlegen und verfügt über das Mandat, EU-Rechtsakte im Hinblick auf Bürokratielast zu hinterfragen – wenngleich er auf Länder- und kommunaler Ebene nicht direkt zugreifen kann.
3. Aktueller Status – Bürokratie in Deutschland und der EU
3.1 Deutschland: Das Bürokratielabyrinth
Der NKR-Jahresbericht 2023/24 bezeichnete die Bürokratiekosten als „nie dagewesene Höhe“, trotz Einsparungen bei Unternehmen. Während bundesdeutsche Betriebe 433 Mio. € entlastet wurden, stieg der Verwaltungsaufwand um 821 Mio. €.
Politisch wurde 2015 die „One in, one out“-Regel eingeführt – ein Bremst, kein Hebel: Sie beschränkt den Anstieg, streicht aber noch nicht effektiv. Zudem kritisiert der NKR das sogenannte „Gold-Plating“: Deutsche Standards, die EU-Vorgaben überlagern, erhöhen Bürokratie unnötig – beispielsweise bei der Lieferkettengesetzgebung.
3.2 EU: Die Ursachen für nationalen Bürokratietsunami
Die EU spielt eine entscheidende Rolle: Laut NKR generieren EU-Vorgaben zwischen 60 % und 70 % der Bürokratielast in Deutschland. Der NKR plädiert deshalb für einen automatischen Abbau nationaler Regeln, sobald EU-Vorgaben existieren, um die doppelte Belastung zu verhindern.
4. Lösungsansätze des NKR
4.1 10 Ziele und 60 Maßnahmen für spürbare Entlastung
- Planungs- und Genehmigungsverfahren: Schnellere Entscheidungswege, Konzentration der Zuständigkeiten, digital gestützt.
- OZG & Digitalregelung: Ausbau zu einem echten Onlinezugang bis 2028, gestützt auf Praxis- und Digitalchecks.
- Vergaberecht: Einheitliche Regeln, erhöhte Freigrenzen (z. B. 20 000 €), Ausweitung digitaler Plattformen.
- KMU‑Entlastung: Weniger Berichtsaufwand, Abbau unnötiger Meldepflichten.
- Gold-Plating-Verpflichtung: EU-Überbelastung reduzieren.
4.2 Föderale Bündelung und Verwaltungsdigitalisierung
Ein Schwerpunkt-Gutachten zu Aufgabenbündelung (Februar 2025) rief zur strukturellen Reform auf. Es bezeichnet den föderalen Flickenteppich als demokratieschädigend. Ziel: Plattformstrukturen mit klaren Verantwortlichkeiten, einheitliche IT-Standards, moderne Infrastruktur und automatisierte Prozesse von der Antragstellung bis zur Genehmigung.
4.3 Digital- und Praxischecks als integraler Gesetzesbestandteil
Seit Anfang 2023 sind Digitalchecks Teil aller Gesetzesverfahren. Dies bedeutet, dass potenzielle digitale Umsetzungsmöglichkeiten verpflichtend geprüft werden müssen – flankiert vom Praxischeck-Kriterium. Der NKR fordert verbindliche Digitalinfrastruktur-Standards und ein eigenes Digitalministerium mit klarer Umsetzungsverantwortung.
4.4 Jahresbericht 2023/24: Zwischenbilanz und Mahnung
Bundesjustizminister Marco Buschmann erkennt Fortschritte an: Die Bürokratiekosten der Wirtschaft konnten um 433 Mio. € gesenkt werden. Dennoch mahnt er:
„60 % der Belastungen kommen aus Brüssel […] Bürokratieabbau gelingt nur, wenn auch die EU die Trendwende einleitet.“
5. Herausforderungen & Kritik
5.1 Bürokratie-Irrsinn in der Praxis
Beispiele aus dem Alltag zeigen: Ein Taxi-Fahrdienst muss künftig einen Fachkundenachweis mit 600 Prüfungsfragen absolvieren. Ebenso unverständlich sind für Seeleute Pflichtangaben auf Deutsch oder die ZÜP-Zertifizierung per Aktenstapel. t‑online kommentiert treffend:
„Diese Regelungswut ist einfach unerträglich… das hindert, nervt, frustriert und hält auf.“
5.2 Struktur vs. Kultur
Kritiker weisen auf eine kulturelle Blockade-Denke hin. Ein Reddit-Nutzer beschreibt:
„Deutschland… scheint nach wie vor in alten Mustern zu verharren… die deutsche Mentalität, bestehendes zu bewahren statt Risiken einzugehen…“
Auch Lutz Goebel fordert ein echtes Reduktionsziel – etwa 25 % innerhalb von vier Jahren, was jährlich 5 Mrd. € Einsparung bedeuten würde.
5.3 EU: Bremsklotz oder Motor?
Der NKR fordert automatischen Abbau nationaler Doppelregelungen sowie stärker angepasste Folgenabschätzungen auf EU-Ebene. Ohne gemeinsame Linie bringen nationale Reformen nur begrenzte Wirkung.
6. Handlungsempfehlungen & Best Practices
Ebene | Empfehlungen | Beispiele |
---|---|---|
Bund | BEG IV nutzen, klare Reduktionsziele, Digital-/Praxischecks | Steuerliche Meldungen digitalisieren, zentrale Plattformen |
Länder/Kommunen | Föderale Bündelung, koordinierte Plattformstrategien | IT-Planungsrat stärken, gemeinsame Infrastruktur |
EU-Ebene | „One out“-Regel, Folgenabschätzung optimieren | Lieferkettengesetze vereinfachen |
Digitales | OZG 2.0, Digitalministerium, IT-Standards | Wiederverwendung von Daten, Nutzerfreundlichkeit |
Evaluation | Ex-post-Kontrollen, Erfolgsmessung | Bürokratiegesetze regelmäßig evaluieren |
Kulturwandel | Fehlerfreundlichkeit, Praxisbeteiligung | Agile Gesetzgebung ermöglichen |
7. Bürokratieabbau ist möglich – aber nur in der Breite
Der Nationale Normenkontrollrat liefert mit seinem umfassenden Instrumentarium eine starke Grundlage für echten Bürokratieabbau. Politische Signalwirkung ist vorhanden – BEG IV oder Entlastungen sind erste Schritte. Doch ohne klare Reduktionsziele, kulturverändernde Prozesse in der Verwaltung und eine koordinierte EU-Strategie wird sich nichts ändern.
Der Weg zu weniger Bürokratie ist ein Marathon mit vier Etappen:
- Strukturelle Reformen – Plattformorganisation
- Digitale Transformation – OZG 2.0
- EU-Kompaktheit – „One out“-Regel
- Kultureller Wandel – pragmatische Gesetzgebung
Nur wenn Politik, Verwaltung und Gesellschaft gemeinsam Verantwortung übernehmen, kann Deutschland sich aus dem bürokratischen Korsett befreien – und zugleich EU-Impulse für schlankere Regulierung setzen.