Es gibt eine Reihe von Veröffentlichungen, die juristisch und technisch das Thema Cyber-Mobbing behandeln. Doch es gibt kaum Literatur und Artikel darüber, wie Menschen psychisch und seelisch mit solchen Attacken umgehen können. In diesem Artikel möchte ich Betroffenen Hinweise auf hilfreiche Bewältigungsstrategien geben.
Nehmen Sie Ihren inneren Freiraum ein!
Der Seelenarzt und Neurologe Viktor E. Frankl, der die Logotherapie – die Therapie des Sinns – entwickelte, hatte folgende Grundannahme. In jedem Menschen existiert eine tief verankerte innere Freiheit, die er auch die „Freiheit des Geistes“ nennt. Ganz egal, wie stark wir vom Schicksal getroffen werden, was auch immer passiert, dieses Potenzial kann nicht verloren gehen oder gemindert werden. Ein besonderes Merkmal davon ist, dass wir zu jeder Zeit die Freiheit haben, unsere Einstellung zu einer Situation zu wählen und zu verändern. Darüber hinaus können wir jeder Situation einen Sinn geben bzw. ihn unmittelbar darin erkennen. Es gibt für Frankl daher keine Lebenssituation, die sinnlos wäre. Vielmehr betont er, dass wir jedes Leid und Schicksal ertragen können, wenn wir einen Sinn darin sehen.
Stellen Sie sich gut ein!
Erforschen Sie in sich welche innere Haltung, welche innere Einstellung Ihnen helfen kann, die Diffamierungen und Verletzungen zu bewältigen. Beispiele wären:
- In der Situation ist ein Sinn verborgen, der für meine Weiterentwicklung wichtig ist – auch wenn ich ihn vielleicht noch nicht erkennen kann.
- Das Leben stellt mich vor eine Herausforderung und Möglichkeit innerlich zu wachsen und Seelenstärke zu entwickeln. Ich werde stärker aus der Krise herauskommen als ich es vorher war.
- Ich habe alle Fähigkeiten und Ressourcen, die Situation zu meistern.
- Ich bin selbst verantwortlich für meine Gefühle. Ich kann selbst entscheiden wie viel Macht ich anderen über mich gebe.
- Ich sorge gut für mich und tue mir Gutes – gerade jetzt. Ich tröste mich selbst und suche Unterstützung bei Angehörigen, Freunden oder professionellen Helfern, wenn ich es brauche.
Tun Sie etwas….aber richtig!
Ein typisches Merkmal von Menschen, die im Netz gemobbt und diffamiert werden sind Gefühle von Hilflosigkeit und Ohnmacht. Wenn negative Dinge über uns unkontrolliert in der Öffentlichkeit verbreitet werden, entsteht oft auch ein Zustand von Handlungsunfähigkeit, der bis zur Resignation führen kann.
Gehen Sie heraus aus der Opferhaltung! Empören Sie sich über die Situation – aber auch über das Destruktive in sich selbst. Lassen Sie sich das nicht gefallen. Ziehen Sie sich durch die Empörung empor. Gewinnen Sie Ihre Handlungsfähigkeit zurück. Tun Sie etwas!
Achten Sie zuallererst auf Ihre Lebensqualität und darauf, was Sie tun können, damit Sie sich wohler fühlen. Überlegen Sie was Sie konkret tun können, damit es Ihnen besser geht – auch wenn es nur ein wenig ist! Wenn es Ihnen besser geht, wird auch die Qualität Ihres Handelns erhöht. Ferner können Sie prüfen, welche rechtlichen oder anderen nützlichen Aktivitäten Sie starten und durchführen können. Wenn Sie Ressourcen, professionelle Hilfe, Gespräche mit anderen Betroffenen usw. brauchen, nehmen Sie dies in Anspruch! Ferner können Sie sich einen Plan machen, was getan werden muss und wie Sie dann konkret in welcher Reihenfolge vorgehen.
Stärken Sie Ihr soziales Netzwerk!
Für Betroffene von Cyber-Mobbing entsteht durch den globalen Charakter des Mediums Internet der Eindruck, als wäre unsere Zugehörigkeit zu unseren überlebenswichtigen Bezugssystemen gefährdet. Es kommt das Gefühl, als würden wir plötzlich ganz alleine, abgekoppelt von der Gemeinschaft dastehen. Es kann dann die nackte Angst ums Überleben einsetzen. Denn für unsere älteren Gehirnareale bedeutet Ausschluss aus der Gemeinschaft der sichere Tod.
Doch zum Glück haben wir als Menschen neben dem sog. Emotionalhirn das entwicklungsgeschichtlich jüngere Großhirn. Dadurch haben Sie die Möglichkeit, die biologischen Instinkte zu „beruhigen“. Dies kann geschehen, indem Sie Ihren Instinkten suggerieren, dass die Grundbedürfnisse immer noch erfüllt sind. Suchen Sie in Ihrem Leben ganz bewusst nach entsprechenden Hinweisen und Argumenten.
Machen Sie sich klar:
- Menschen, die wirklich wertvoll für Sie sind, lassen sich durch Diffamierungen nicht beeinflussen.
- Es sind nur relativ wenige Menschen, welche die Diffamierung überhaupt zur Kenntnis nehmen.
- Es ist meistens ein weitaus größeres Armutszeugnis für den Täte, als für seine vermeintlichen „Opfer“.
- Ihr soziales Netzwerk bleibt nach wie vor bestehen. Falls nicht, können Sie es jeder Zeit ergänzen.
- Die soziale Absicherung bleibt bestehen. Sie werden nicht verhungern oder erfrieren.Ihr Schutz bleibt bestehen (Polizei, Rechtssystem, Krankenversicherung….).
- Sie können gut und gerne ohne die Menschen leben, die sich tatsächlich von diffamierenden Botschaften beeinflussen lassen und keine Menschenkenntnis und eigene Meinung haben.
Sie können sich Ihr soziales Netzwerk z.B. bewusst machen, indem Sie alle die dazu gehören, auf ein großes Blatt schreiben und sie mental hinter sich stellen.
Finden Sie Ihr „Wofür“!
Viktor E. Frankl prägte den Satz: „Ein Mensch, der weiß WOFÜR, erträgt fast jedes WIE.“ Er geht davon aus, dass wir Schicksale und Krisen positiv bewältigen können, wenn wir einen Sinn darin erkennen können. Jede Lebenssituation kann demnach dazu dienen, innerlich zu wachsen, reifer zu werden und sich selbst und seinen Potenzialen näher zu kommen. Sehen Sie die Situation als eine Hilfestellung, die Ihnen das Leben gibt, um sich weiter zu entwickeln. Suchen Sie nach dem Sinn der Situation.
Hilfreiche Fragen hierzu könnten beispielsweise sein:
- Zu welchen Verhaltensweisen zwingt Sie die Situation, die Sie vorher nie freiwillig in Betracht gezogen hätten?
- Welche positiven Fähigkeiten, Eigenschaften und Ressourcen können Sie durch die Situation entwickeln und erweitern?
- Wie sähe eine Zukunft für Sie aus in der Sie das Thema innerlich und/oder äußerlich erfolgreich bearbeitet haben? Wie leben Sie dann? Was hat sich in Ihnen und im Außen verändert?
- Welche Aufforderung könnte für Sie in der Situation verborgen sein? Was möchte das Leben Ihnen aufzeigen? Steckt in der Situation ein Wegweiser?
Resumée
In diesem Artikel wollte ich verdeutlichen, dass Betroffene von Internet-Diffamierung und Cyber-Mobbing den Angriffen nicht hilflos ausgeliefert sind. Auch wenn Ihnen auf der Handlungsebene die „Hände gebunden“ sind, haben Sie Ihren inneren Freiraum, indem Sie entscheiden können, welche Haltung Sie dazu einnehmen. Sie können es beeinflussen, wie viel Macht das Destruktive der Situation über Sie gewinnt. Darüber hinaus können Sie den Aufforderungscharakter, den Impuls für Ihre persönliche Entwicklung wahrnehmen und konstruktiv umsetzen.
Autor:
Andreas Kemmerer
Praxis für Beratung, Coaching und Psychotherapie
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