
Ob im Fernsehen, auf YouTube oder in Podcasts – bestimmte Werbespots begegnen uns heute nahezu überall und in hoher Frequenz. Die Werbung ist oft laut, grell oder bewusst unprofessionell inszeniert.
Der ehemalige Formel-1-Fahrer Ralf Schumacher etwa wirbt seit Monaten für „wirkaufendeinauto.de“ in einer Art und Weise, die vielen Zuschauern unangenehm aufstößt. Doch genau hier liegt die Strategie: Penetranz als Methode. Die Frage ist, ob dieses Prinzip langfristig aufgeht – oder ob es das Markenimage am Ende beschädigt. Der folgende Artikel analysiert das Phänomen penetranter Werbung, untersucht die psychologischen Effekte und wägt Vor- und Nachteile ab.
Fallbeispiele: Von Ralf Schumacher bis Seitenbacher
Der Ralf-Schumacher-Effekt
Ein aktuelles Beispiel für diese Werbestrategie liefert Ralf Schumacher. Der ehemalige Rennfahrer taucht seit Anfang 2024 in zahlreichen TV-, Online- und Social-Media-Spots für das Portal „wirkaufendeinauto.de“ auf – stets in derselben, bewusst holprigen Machart. Laut einem Artikel des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) verfolgt das Unternehmen damit ein klares Ziel: Markenbekanntheit in kürzester Zeit steigern. Dazu erklärt Marketingexperte Sven Reinecke von der Universität St. Gallen gegenüber dem RND: „Solche Werbung zielt nicht auf Gefallen, sondern auf Wiedererkennung. Wenn Sie die Marke kennen, hat sie schon gewonnen.“
Die Umsetzung wirkt dabei wie eine Parodie: Schumacher spricht in die Kamera, oft in hektischen, fast unnatürlichen Bewegungen, mit sichtbarem Amateurcharme. Genau das bleibt hängen. Laut RND funktioniert das Prinzip: Die Marke sei durch die Kampagne signifikant bekannter geworden – trotz oder gerade wegen der negativen Reaktionen.
Weitere Beispiele: Check24, Uber Eats & Seitenbacher
Das Prinzip ist nicht neu. Die Check24-Spots mit ihren schrillen Familiencharakteren, die über Stromtarife diskutieren, sorgten seit Jahren für Kontroversen. Zahlreiche Zuschauer äußerten in sozialen Netzwerken ihren Unmut – und doch setzte die Marke ihre Kampagne unbeirrt fort. Ähnlich bei Uber Eats: Der Werbespot mit David Hasselhoff, der statt „Freedom“ den Songtext „I’ve been looking for Schnitzel“ singt, war so überspitzt, dass er polarisiert, aber für hohe Aufmerksamkeit sorgte.
Ein Klassiker ist auch Seitenbacher-Müsli. Die Radiowerbung mit schwäbischem Akzent, eingesprochen vom Firmengründer selbst, läuft seit über 20 Jahren – und wird regelmäßig in Umfragen zu „Deutschlands nervigster Werbung“ genannt. Doch der Effekt ist eindeutig: Die Marke Seitenbacher ist vielen Deutschen ein Begriff – oft als erste Assoziation bei Müsli.
Psychologische Mechanismen hinter nerviger Werbung
Der Mere-Exposure-Effekt
Zentral für das Verständnis dieser Werbeform ist der Mere-Exposure-Effekt, der von Robert Zajonc 1968 beschrieben wurde. Der Effekt besagt, dass allein die wiederholte Konfrontation mit einem Stimulus (z. B. einer Marke oder einem Gesicht) die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass dieser positiver bewertet wird – selbst wenn er anfangs neutral oder negativ wahrgenommen wurde.
Das Prinzip ist aus der Musik bekannt: Songs, die anfangs nerven, werden nach mehrmaligem Hören oft zum Ohrwurm. In der Werbung gilt: „Wenn du eine Marke zehnmal gesehen hast, fängst du an, dich an sie zu gewöhnen – und irgendwann zu vertrauen“, erklärt Werbepsychologe Christian Scheier.
Der Wear-Out- und Reaktanz-Effekt
Doch die Sache hat Grenzen. Der sogenannte Wear-Out-Effekt beschreibt, dass bei zu häufiger Wiederholung die Wirkung einer Werbebotschaft nachlässt oder sogar ins Negative kippt. Insbesondere bei emotional aufgeladenen, lauten oder bewusst provokativen Spots tritt schnell eine Art Übersättigung ein.
Hinzu kommt der Reaktanz-Effekt, ein Begriff aus der Psychologie: Wenn Menschen das Gefühl haben, manipuliert zu werden oder keine Wahl mehr zu haben, reagieren sie mit Ablehnung. Das kann so weit führen, dass ein Produkt aktiv gemieden wird. In sozialen Medien liest man beispielsweise Sätze wie: „Allein wegen der nervigen Werbung bestelle ich nicht bei Uber Eats.“
Der Vampir-Effekt
Ein weiteres Risiko ist der sogenannte Vampir-Effekt, bei dem eine bekannte Persönlichkeit oder ein stark inszeniertes Stilmittel die eigentliche Markenbotschaft überlagert. Bei Ralf Schumacher etwa erinnern sich viele Zuschauer eher an ihn als an das Unternehmen, für das er wirbt. Die Marke bleibt zwar präsent – aber ihre Botschaft verschwimmt.
Strategischer Nutzen penetranter Werbung
Wenn Penetranz gezielt eingesetzt wird
Trotz der Risiken kann diese Form der Werbung in bestimmten Situationen durchaus sinnvoll sein. Vor allem in der Markteinführungsphase oder bei einem kann Penetranz helfen, schnell Sichtbarkeit aufzubauen. Besonders dann, wenn andere Unternehmen ähnliche Produkte oder Dienstleistungen anbieten.
Der RND-Artikel betont: „Es geht nicht um subtilen Imageaufbau, sondern um einen aggressiven Push in das Bewusstsein der Konsumenten.“ Auch Plattformen wie YouTube, TikTok und Instagram unterstützen diese Strategie, da dort Algorithmen Inhalte, die stark polarisieren oder häufig kommentiert werden, bevorzugt ausspielen. Kurzum: Je mehr Menschen über eine Werbung schimpfen, desto mehr sehen sie sie.
Viralität durch Empörung
Der Effekt kann sogar gewollt sein. In der Kommunikationswissenschaft spricht man von Empörungsmarketing. Die Idee: Provokation erzeugt Reichweite – und selbst negative Emotionen führen zur Verankerung der Marke. Der Werbespot wird zum Gesprächsthema, erhält Memes, Parodien, Presseberichterstattung. Das Produkt profitiert von der Bekanntheit – sofern es im richtigen Moment nachliefert.
Risiken und Gefahren: Wann nervige Werbung nach hinten losgeht
So mächtig der Push-Effekt auch sein kann – er ist nicht ungefährlich. Denn Markenaufbau ist langfristig. Wenn der erste Kontakt negativ ist, kann das Vertrauen nur schwer zurückgewonnen werden. Die Gefahr besteht, dass sich der Eindruck „Das ist die Marke mit der nervigen Werbung“ dauerhaft verfestigt – und sich selbst bei späteren Strategiewechseln nicht mehr abschütteln lässt.
Zudem kann sich eine solche Strategie schnell selbst entwerten. Der Markt ist heute komplexer, Konsumenten sind kritischer, und alternative Informationsquellen sind überall verfügbar. Wer seine Zielgruppe dauerhaft mit aufdringlicher Werbung bombardiert, läuft Gefahr, sie nachhaltig zu verlieren.
Wie man Penetranz gezielt steuert
Der Schlüssel liegt in der Dosierung. Wer seine Marke in kurzer Zeit bekannt machen will, kann auf hohe Frequenz setzen – aber nur für einen begrenzten Zeitraum. Anschließend sollten variierende Inhalte folgen, um den Wear-Out-Effekt zu verhindern. Auch kontextuelle Anpassung ist entscheidend: Auf Social Media darf Werbung lauter sein als im linearen TV. Und für ältere Zielgruppen funktionieren andere Mechanismen als bei jungen Digital Natives.
Auch eine kluge Kombination aus Push- und Pull-Marketing hilft. Während Push-Kampagnen wie die Ralf-Schumacher-Spots auf Reichweite zielen, sollte gleichzeitig ein informativer oder emotionaler Content-Kanal bestehen, der Vertrauen aufbaut – z. B. in Form von Erklärvideos, Testimonials oder Produktvergleichen.
Zwischen Markenboost und Imagefalle
Penetrante Werbung ist kein Zufall, sondern oft eine bewusste Entscheidung im Rahmen einer aggressiven Markenstrategie. Sie kann effektiv sein, um Sichtbarkeit und Bekanntheit aufzubauen – gerade in umkämpften Märkten oder bei kurzfristigen Zielen. Doch sie birgt erhebliche Risiken: Reaktanz, Markenaversion, Vampir-Effekte.
Wer penetrante Werbung nutzen will, sollte daher wissen, was er tut: Sie ist ein scharfes Schwert – und wer es falsch führt, verletzt am Ende sich selbst. Nachhaltiger Erfolg entsteht dort, wo Wiedererkennung, Markenbotschaft und positive Nutzererfahrung zusammenkommen. Dann kann selbst der nervigste Spot irgendwann zum Kult werden.